London, Tower-Museum
30.) I-33 (Ms. membr. I 115), Anonymus
Perg.-Hs.; frühes 14. Jh.; lat.; 32 Bil.; lavierte Federzeichnungen mit lateinischem Beitext.
Fechtbuch, in dem ein Priester ('sacerdos') einem jungen Mann ('scolaris', 'discipulus') Fechtunterricht mit Schwert und Buckler (kleiner Rundschild) erteilt. Im Text finden sich dt. Fachtermini des Fechtens (etwa 12r und 22v: 'custodia quae dicitur Vidilpoge'). Auf fol. 7r, unten, Besitzervermerk: 'Johannes Herbart von Wirzburck'; anonym, nicht von Liechtenauer abhängig.
Der eigentliche Text beginnt ohne Überschrift und ohne Prolog mit 'Notandum quod generaliter omnes dimicatores sive omnes homines habentes gladium in manibus etiam ignorantes artem dimicatoriam utuntur his septem custodiis ...'
Die von WIERSCHIN noch als Kriegsverlust bezeichnete Handschrift wurde 1950 vom Londoner Antiquariat Sotheby erworben und wird zur Zeit im Tower von London aufbewahrt. Nach einer handschriftlichen Expertise des verstorbenen Wiener Historikers A. LHOTSKY, die der Handschrift beiliegt, soll der Text am Ende des 13. Jh.s von einem Sekretär des Bischofs von Würzburg geschrieben worden sein. S. KRÄMER, die die Handschrift wiederentdeckte, neigt dagegen eher zu einer Datierung ins frühe 14. Jh.
Die Handschrift wurde bereits im 16. Jh. erstmals von Henricus a Gunterrodt98 erwähnt und auch dem Schreiber des Cod. Guelf. 125.16 Extrav. (HK 55) erschien sie als interessant genug, um wenigstens einige Abbildungen daraus zu kopieren, damit der Platz in seinem eigenen Manuskript nicht ungenutzt bleibe, wie er selbst dazu anmerkte.
Näheres zum Gürtelmacher Johannes Herbart von Würzburg, in dessen Besitz sich das Manuskript befunden haben soll, nachdem es in einem fränkischen Kloster entdeckt worden war, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Damit ist Liechtenauers Fechtlehre (HK 41) nicht die älteste, in der eine wie auch immer geartete Fechtkunst schriftlich (!) tradiert wird.
Lit. Jacobs, Friedrich und Ferdinand August Ukert: Beiträge zur älteren Literatur oder Merkwürdigkeiten der öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 5. Heft. Leipzig 1838, S. 102-144 (S. 374); Krämer Sigrid, Verbleib unbekannt. Angeblich verschollene und wiederaufgetauchte Handschriften. 2. Folge, in: ZfdA 104 (1975), S. 255-257.