Der sog. “Codex Wallerstein”, auch “Vom Baumanns Fechtbuch” (Universitätsbibliothek Augsburg, Cod.I.6.4o 2) ist eine Sammelhandschrift aus drei Fechtbüchern aus dem 15. Jh.; ediert von Rainer Welle (2014), Baumanns Fecht- und Ringkampfhandschrift. Die Universitätsbibliothek Augsburg hat ein vollständiges Digitalisat: Cod.I.6.4.2.
Teile I und II stammen aus dem späten 15. Jh. (ca. 1470, das Papier wurde nach Wasserzeichen auf etwa 1464 datiert; Leng, KdiH 4/2 2008, 38.9.1); Teil III dagegen stammt aus dem frühen 15. Jh. (das Papier datiert auf 1420) und ist damit die älteste Bilderhandschrift der Langschwerttradition.
Die Innenseite des Einbandes ist eingeschrieben mit “1549. Vom Baumanns” (vermutlich ein Augsburger Söldner Michael Baumann; Hils S. 28), später (in einer anderen Hand) wurde in die Mitte der Seite noch “Fechtbuch” geschrieben, daher “Vom Baumanns Fechtbuch” als gängige Bezeichnung. Falls der Bezug zu Michael Baumann richtig ist, könnten Teile I und II gar durch Baumann selbst erstellt bzw. in Auftrag gegeben worden sein (so dass “Baumanns Fechtbuch” für Teile I und II tatsächlich eine zutreffende Benennung wäre); Baumann ist im Augsburger Steuerregister von 1471 bis 1495 erfasst. Die Datierung 1549 würde dann auf das Zusammenbinden der Handschriften aus Baumanns Nachlass deuten. Zuvor noch scheinen Teile I und II von Albrecht Dürer als Vorlage für sein eigenes Fechtbuch verwendet worden sein. Paulus Hector Mair erwarb die Sammelhandschrift jedenfalls am 26. Januar 1556 in ihrer jetzigen Bindung (uber khumben im 1556 jar am 26 januari Paulus Hector Mair zugehorig).
Die Bezeichnung “Codex Wallerstein” ist nur in der HEMA-Szene gängig, dies aber seit etwa 2000, möglicherweise eingeführt von John Clements / thehaca.com, dann popularisiert durch Grzegorz Żabiński mit der gedruckten Ausgabe, publiziert 2002 mit der notorischen Paladin Press (Codex Wallerstein: A Medieval Fighting Book from the Fifteenth Century on the Longsword; die Transkription/Übersetzung ist sehr fehlerhaft, das Buch ist aber trotzdem bemerkenswert als die erste gedruckte Ausgabe eines Fechtbuches durch HEMA-Enthusiasten überhaupt). Die Handschrift war (vermutl. seit 1653) Bestandteil der Fürstlich Oettingen-Wallerstein’schen Bibliothek. In einer Auktionierung 1935 fand sie scheinbar keinen Käufer (Bibliophile Kostbarkeiten a. d. Bibliothek d. Augsburger Patriziers Marcus Fugger und Beiträge aus anderem Besitz; Fürstlich Oettingen-Wallerstein’sche Bibliothek, München : Karl & Faber, 1933) und die ganze Oettingen-Wallersteinsche Bibliothek (abzüglich der Versteigerungen von 1935) wurde schliesslich 1980 vom Freistaat Bayern für 40 Millionen DM gekauft. Ihre vollständige Signatur in Augsburg ist nun “Oettingen-Wallerstein Cod. I.6.4o.2″ (Das “4o” sollte wohl “quarto” ausgesprochen werden, wird aber nun selbst von der Bibliothek nicht mehr so geschrieben, “Cod I.6.4.2”), d.i. (vermutl.) “Die zweite Quarto-Handschrift aus der Gruppe I.6 (Fechtbücher)”. Die Gruppe “Oettingen Wallerstein Cod. I.6” enthält insgesamt mind. zehn Turnier- Fecht- und Ringbücher (z.B. Cod. I.6.4o.3 könnte mit genau demselben Recht “Codex Wallerstein” heissen, wird in der HEMA community aber gerne Codex Lew genannt, weil dieser Fechtmeister (Jud Lew) darin einige Male genannt wird). Die Signatur Cod. I.6. stammt noch aus der Oettingen-Wallerstein’schen Bibliothek selbst und wurde von der Augsburger Universitätsbibliothek beibehalten; so ist die heute als “Glasgow-Fechtbuch” Handschrift von 1508 der ehemalige Cod. I.6.4o.4 (1935 ersteigert von Robert Lyons Scott).
Inhalt
- Teil I
- 3-14, 21 langes Schwert (26 Bilder)
- 22-28 Dolch (14 Bilder)
- 29-32 Messer (8 Bilder)
- Teil II
- 15-20, 33-72 Ringen (88 Bilder)
- 72-74r: Festhalten von Gegnern
- 74v “scherzhaftes” Einschüchtern eines Bauern
- Teil III
- 1r Zeichnung eines Fechters mit verschiedenen Waffen
- 1v-2r Zeichnung eines Gerichtskampfs mit Zuschauern
- 76-80, 101-102 langes Schwert
- 96-98 Gerichtskampf nach schwäbischem und fränkischem Recht
- 98v-100 Ringen
- 81-95, 103-108r Harnischkampf
- 108v eine Darstellung einer Hochzeitszeremonie, vier Figuren in festlicher Kleidung, das Brautpaar mit Spruchrollen (er: “ich nim dich”, sie: “ia ia liber löffel ia”)
Auf der letzten Seite (fol. 109r) hat Paulus Hector Mair ein Register eingeschrieben:
Im Langen schwert der stent stendt item als — 36
der ringen item als bar stent — 95
Im dolchen item als bar stent — 14
Im dusseckhen stent bar stent — 8
Im Khampf zu fusz aber alerley stent — 51
Mer 7 bar stent im ringen — 7
Mer 5 bar stent im langen schwert — 5