Zettel

Die Merkverse (“Zettel”) Liechtenauers sind ein Gedicht aus dem 14. Jh., in einer Reihe von Fassungen überliefert ist, darunter:

  • Jörg Wilhalm Hutter, München Cgm 3711 (ca. 1515)
  • Jörg Wilhalm Hutter, Augsburg Cod.I.6.2º.2 (1523)
  • Andre Paurñfeyndt, Wien (1516)
  • Goliath, Krakau MS Germ.Quart.2020 (ca. 1520)
  • Christian Egenolff, Frankfurt (1530)
  • Anton Rast, Augsburg Reichsstadt “Schätze” Nr. 8 (1553)
  • Maister Liechtenawers Kunstbuech, München CGM 3712 (1556)
  • Joachim Meyer, Strassburg MS Var. 82 (ca. 1570)
  • Lienhart Sollinger, Cod.Guelf.38.21 Aug.2º (1588)

Werner Ueberschär von Nürnberg hat 2012 eine sehr schön gemachte Neufassung online gestellt, die nahe an eine “kritische Ausgabe” heranreicht. Ebenfalls von Ueberschär eine synoptische Zusammenstellung von fünf Transkriptionen (F, A, C, I, G, D).

[toc]

“Zettel”

Die Bezeichnung als zedel (f. sg., von lat. schedula) findet sich in C (Peter von Danzig 1452, fol. 9v):

Alhÿe hebt sich an dye zedel der Ritterlichen kunst des fechtens dye do geticht vnd gemacht hat Johans Liechtenawer der ain hocher maister In den künsten gewesen ist dem got genadig seÿ

Ebenso in der Inhaltsangabe von Nicolaus Pol (1494) zu A (Hs. 3227a) Künst des vechtens aus der zedel etc.

Vergleiche dazu den Hinweis auf die schriftliche Überlieferung (bzw. Erinnerungsstütze) in A auf auf fol. 87r (zum Ringen):

… und das ist gar swer und unbedewtlich, wen das das ist sein zete gewest, dorum das is nicht yderman vorneme, der is wörde lezen; 

also etwa: “Das ist gar beschwerlich und undeutlich (formuliert), denn das war seine (Meister Liechtenauers) Gewohnheit (sete “Sitte”, nicht *czedel “Zettel”), damit  es nicht jeder verstünde, der es zu lesen bekäme.”

Ehlert&Leng (2003:290) charakterisieren das Genre als “mnemotechnisches Kleinschriftgut”.

Text

Ich zähle zwischen etwa 50 (B) oder 110 (ACI übereinstimmend) bis gegen 180 (A) Verse zum langen Schwert (hier numeriert 1–184, mit einigen Mehrfachzählungen), gegliedert in eine allgemeine Einleitungen, allgemeine Prinzipien zum Schwert und einzelne Abschnitte zu Liechtenauers “Hauptstücken”.

Die folgende Transkription im wesentlichen nach A, mit sachte normalisierter Orthographie (cz~z, s~s, u~v, v~f, aber Bewahrung des “ostmitteldeuschen” Vokalismus)

Einleitung

1. Jung Ritter lere / got lip haben frawen io ere [ref]3. AG: sere, CID: zu eren
4. ACI: fesser, DG: besser.
WUe: fesser “Fessel”?
G: degenn statt glef(n)en.
6. A: hort, C: hurrt, I: hart,
D: hawe dreyn oder laß faren.
7. E: Das man dein weis / Müg maisterlichen preis
8. A: zoße, CI: fasse, D: czihe.
[/ref]
2. So wechst dein ere / Uebe ritterschaft und lere
3. kunst dy dich zyret / und in krigen sere hofiret
4. Ringens gut fesser / glefney sper swert unde messer
5. menlich bederben / unde in andern henden vorterben
6. Haw dreyn und hort dar / rawsche hin trif ader la farn
7. das in dy weisen / hassen dy man siet preisen
8. Dorauf dich fasse / alle ding haben lenge unde mosse

9. Und was du wilt treiben / by guter vornunft saltu bleiben [ref]9.–18. nur in A.
10. limpf “angemessen”.
14. icht “jeglich”.
17. tar “mutig sein, wagen”.
18. von hande “unmittelbar, sofort”.
[/ref]
10. Zu ernst ader zu schimpf / habe frölichen mut mit limpf
11. So magstu achten / und mit gutem mute betrachten
12. Was du salt füren / und keyn im dich rüren
13. Wen guter mut mit kraft / macht eyns wedersache zagehaft
14. Dornoch dich richte / gib keynem forteil mit ichte
15. Tumkunheit meide / vier ader sechs nicht vortreibe
16. Mit deynem öbermut / bis sitik das ist dir gut
17. Der ist eyn küner man / der synem gleichen tar bestan
18. Is ist nicht schande / vier ader sechse flien von hande

Allgemeine Lehre des langen Schwerts

19. Wiltu kunst schawen / sich link gen und recht mete hawen [ref]19. ACD: link gen, I: lincken, G: tenncken.
21. A: kleyne, CDGI: wenig.
22. CDGI: nahe(n)t, A: nu. nahent “nah” (adv.).
22. A: kawm an dich schild,
BCDGI: kompt in dinen schilt.
23. nur in A.
24. A: czecken, C: zegt, I: recke, DG: (c)zec, EH: sleg(e).
25. B: ficht mit ganczem leibe gerstu stet […].
26. slecht: “simpel, schlicht, gut und recht”.
28. nur in A.
31. AH: leren, CDGI: lernen;
CDGI: Mit kunst arbaitten vnd weren.[/ref]
20. Und link mit rechten / is das du stark gerest fechten
21. Wer noch get hewen der darf sich kunst kleyne frewen
22. Haw nahent was du wilt / keyn wechsler kompt an dinen schild
23. Haw nicht zum swerte / sonder stets der blöße wärte
24. Zu koppe zu leibe / dy zecken do nicht vormeide
25. Mit ganzem leiben / ficht was du stark gerest treiben
26. Hör was do slecht ist / ficht nicht oben link so du recht pist
27. Und ob du link pist / ym rechten auch sere hinkest
28. Auch so ficht io liber / von oben linklichen nider
29. Vor noch dy zwey dink / syn allen kunsten eyn orsprink
30. Schwach unde sterke / Indes das wort mete merke
31. So machstu leren / mit und kunst und erbeit dich weren
32. Irschrikstu gerne / keyn fechten nymmer lerne
33. Kunheit und rischeit / vorsichtikeit list und klugheit [ref]33.–35. nur in A.[/ref]
34. Vornunft vorborgenheit / mosse vorbetrachtunge fetikeit
35. Wil fechten haben / und frölichs gemüte tragen

Liste der Hauptstücke

[ref]”Hauptstücke”: C (12v) die rechten hauppt stuck der zedel des langen swertz
36. CDGI: wider, A: wer.
37. fehlt in A.
CGI geloben: DEH glauben,
CDGI lonen: EH: zu leren.
38. ACD: hat, I: hawt. G om.
39. A: nochreist, GCID: nachraisen.
A: öberlawft GCID: uberlauf.
A: hewe letzt, DG: haw letzt,
C: häw setzt, I: ha~et secz.
40. A: durchwechselt, durchlawft;
CDFI: durch wechsel, durch lauff.
41. A: strich stich, CGD: streich stich.
vach: “fang”.[/ref]

36. Fünf hewe lere / von der rechten hant wider dy were
37. denn wir geloben / in kunsten gern zu lonen
38. Zornhaw krump twere / hat schiler mit scheitelere
39. Alber vorsatzt / nochreist öberlawft hewe letzt
40. Durchwechselt zukt / durchlawft abesneit hende drukt
41. Henge wind mit blößen / slag vach strich stich mit stößen

Zornhau

42. Der dir oberhawet / zornhaw ort deme drewet
43. Wirt her is gewar / nym is oben ab ane var
44. Pis sterker weder / wint stich siet her is nym is neder
45. Das eben merke / hewe stiche leger weich ader herte [ref]45. verderbt von 146.?
46. WUe: an hurt haben = “eilig sein”;
gach = “eilig”
47. remet = “zielt”
[/ref]
46. Indes und vor noch /  ane hurt deme krige sey nicht goch
47. Wes der krig remet / oben neden wirt her beschemet
48. In allen winden / hewe stiche snete lere finden
49. Auch saltu mete / prüfen hewe stiche ader snete
50. In allen treffen / den meistern wiltu sie effen
51. Haw nicht zum swerte / sonder stets der blößen wärte[ref]51.-57. nur in A.
51.=23.[/ref]
52. Zu koppe zu leibe / wiltu an schaden bleyben
53. Du trefts ader velest / so trachte das du der blössen remest
54. In aller lere / den ort keyn den blößen kere
55. Wer weite umbe hewet / der wirt oft sere beschemet
56. Of das aller neste / brenge hewe stiche dar gew[?]
57. Und soltu auch io schreiten / eyme czu der rechten seiten

Vier Blössen

58. Vier blößen wisse / remen so slestu gewisse
59. an alle var / an zweifel wy her gebar [ref]59. gebar “verfährt”.
60. ACDGI: rechen, B: rechten.
61. A: do neden, C: nyden, BDI: und(en), G: in dem.[/ref]
60. Wiltu dich rechen / vier blössen kunstlichen brechen
61. Oben duplire / do neden rechten mutire
62. Ich sage vor ware / sich schötzt keyn man ane vare
63. hastu vornomen / zu slage mag her kleyne komen

Krumphau

64. Krump auf behende / wirf deynen ort auf dy hende
65. krump wer wol setzet / mit schreten vil hewe letzet [ref]65. letzen “hemmen, aufhalten”.
66. swechen: “beschimpfen, erniedrigen”.
[/ref]
66. haw krump czu flechen / den meistern wiltu sie swechen
67. Wen is klitzt oben / stant abe das wil ich loben [ref]glitzt “glänzt”[/ref]
68. krump nicht kurz hawe / durchwechsel do mete schawe
69. krump wer dich irret / der edele krig den vor wirret
70. Das her nicht vorwar / weis wo her sye ane var

Twerhau

71. Twere benymet / was von dem tage dar kümet [ref]71. B: Tewr nimpt waz vom himel herab kimpt.
74. A: hew, D: hawet, GGI: haupt.[/ref]
72. Twere mit der sterke / deyn erbeit do mete merke
73. Twere zu dem pfluge / zu dem ochsen herte gefuge [ref]gefuge “schicklich”
ACDGI: zu de(m/n) ochsen herte gefug(e), B: zu den nesten ungefuge
74. D: dem hawet vast gevar [/ref]
74. Was sich wol tweret / mit sprüngen dem haupt geferet

Fehler

75. Veler wer füret / von unden noch wonsche her rüret [ref]75.-79: in A vor 71. (Twerhau).
75. A: Veller, B: veiler, CG: feler, DI: welcher
ACD: wer für(e)t, B. ver firet, I. vor füret.[/ref]
76. Vorkerer twinget / durchlawfer auch mete ringet
77. den ellenbogen / gewis nym sprink yn den wogen
78. Veler zwefache / (in) trift man den snet mete mache
79. Zwefaches vorpas / schreit yn link und weze nicht las
80. wen alles fechten / will rischheit haben von rechte [ref]80.-81. nur in A.[/ref]
81. Dorzu auch kunheit / vorsichtikeit list unde klugheit

Schielhau

82. Schiler in bricht / was püffel nü slet ader sticht
83. wer wechsel drawet / schiler dor aus in berawbet
84. Schil kürzt her dich an / durchwechsel das sigt ym an
85. Schil zu dem orte / und nym den hals ane vorchte
86. Schil in dem öbern / hawpte hende wiltu bedöbern
86a. Schil ken dem rechten / is daz du wol gerest fechten [ref]86ab. Ergänzung in A, vgl. 92.[/ref]
86b. Den schilhaw ich preise / kumpt her dar nicht zu leise

Scheitelhau

87. Der scheitelere (mit sinen kere) / dem antlitz ist (gar) gefere [ref]87: ACGD: Der scheitlar(e) (ist) de(y)m antlitz (ist) gefar(e)
B: mit sinen kere. F mit seynen korn [/ref]
88. mit seinem karen / der broste vaste gefaren
89. Was von ym kümet / dy krone das abe nymmet
90. Sneyt durch dy krone / zo brichstu sie harte schone
91. Dy striche drücke / mit sneten sie abe rücke
92. Den scheitelhaw ich preise / kümpt her dar nicht zu leise [ref]92. nur in A.[/ref]

Vier Leger

93. Vier leger alleyne / do von halt und flewg dy gemeyne [ref]93. B: 4 leger alle[in] nym vnd fleuch die geme[in]
94. unmer “unlieb, zuwider”[/ref]
94. Ochse pflug alber / vom tage nicht sy dir unmer
95. Alber io bricht / was man hewt ader sticht [ref]95.-96. nur in A.
95. vgl. 82. [/ref]
96. mit hengen streiche / nochreizen setze gleiche

Versetzen

97. Wer wol vorsetzit / ders fechten vil hewe letzit [ref]97.-98. nur in A.[/ref]
98. wen yn dy hengen / kumpstu mit vorsetzen behenden
99. Vier sint vorsetzen / dy dy leger auch sere letzen
100. Vorsetzen(s) hüt dich / geschiet das auch sere müt dich[ref]100. ACDG: auch, BFI: om.
ABCI: müt dich, E: mutig G: nucz dich
101. B: Ist daz du vor satzt yß / Sich wy het da her komen yst
F: ist daz dir vers[e]czt ist / slach wie ez dir komen ist
102. drate “eilig”
ABD: str(e)ich abe, CGI: reisz ab, F: drit ab
A: haw snel, B: snel hauwe
103: A: kere, CDI: ler(e), EFGH: om.
[/ref]
101. Ab dir vorsatzt ist / und wy das dar komen ist
102. höre was ich rate / streich abe haw snel mete drate
103. Setzt an vier enden / bleib droffe (kere) wiltu enden

Nachreisen

104. Nochreisen lere / zwefach ader sneit in dy were [ref]104. ACDGI zwifach oder, B: trid vorbas und
105. AC: mynne, GI: nymm(e), D: main.
106.=173. (ge)ferte (“Fährte”), “was geführt wird”; vgl. 129., 133., 146.
108. CDGI: trifft man den alten schnit(et) mit mach(t)
109.-112. nur in A.
109.=170. vgl. 50., 128.
110. = 121., vgl. 54.
[/ref]
105. Zwey ewsere mynne / der erbeit dornoch begynne
106. Und prüff dy ferte / ab sye sint weich ader herte
107. Das fülen lere / Indes das wort sneidet sere
108. (Nach) reisen zwefache / den alden snet mete mache
109. Folge allen treffen / den starken wiltu sy effen
110. In aller lere / den ort keyn eyns gesichte kere
111. Mit ganzem leibe / nochreize deyn ort io da pleibe
112. lere auch behende / reisen so magstu wol enden

Überlaufen

113. Wer unden remet / öberlawf den der wirt beschemet
114. Wen is klitzt oben / so sterke das ger ich loben
115. deyn erbeit mache / ader herte drücke zwefache
116. Wer dich drükt neder / öberlawf in slach sere weder [ref]116.-117. nur in A.[/ref]
117. Von beiden seiten / öberlawf und merke dy sneiden

Absetzen

118. Lere abesetzen / hewe stiche künstlichen letzen
119. Wer auf dich sticht / dyn ort trift und seynen bricht[ref]119. F: seinen ort mit twer driff und prich
120. ACI: trif allemal wiltu schreiten, G: trif alle wol schreitenn, D: streÿtenn
121.=110. nur in A.[/ref]
120. Von payden seyten / trif allemal wiltu schreiten
121. In aller lere / deyn ort keyn eyns gesichte kere

Durchwechseln

122. Durchwechsel lere / von payden seyten stich mete sere
123. Wer auf dich bindet / durchwechsel in schire findet[ref]123. schir “klar, deutlich”[/ref]
124. Wen du durchwechselt hast / slach stich ader winde nicht las [ref]124.-125. nur in A.
125. Variation von 51.=23.[/ref]
125. Haw nicht zum swerte / durchwechsel do mete wärte

Zucken

126. Trit nü in bünde / das zücken gibt gute fünde[ref]126. A. nü, CDGI: nache(n)t.
127. Varianten: siehe Kommentar.
128. vgl. 50., 109.=170.
[/ref]
127. zük trift her zucke mer / erbeit her wind das tut im we
128. Zük alle treffen / den meistern wiltu sye effen
129. Zuk ab vom swerte / und gedenke io deyner ferte [ref]129. nur in A.[/ref]

Durchlaufen

130. Durchlawf loz hangen / den knawf greif mit wiltu rangen
131. Wer kegen dir sterk / durchlawf do mete merke [ref]
130. ACGI: Durchlauf laz hangen, D: Truck durch lauffen laß hangenn, BF: las(z) den ort hangen. ACDGI: mit dem (knauf/knopf) greif wiltu rangen, BF: (Be)gr(e)if den knauf wiltu (midde) rangen.
131. A: Wer kegen der sterke / durchlawfir do mete merke.
132. nur in A.
135.-138. nur in A.
138. vgl. 152.[/ref]
132. Durchlawf vnd stos / vorkere greift her noch dem klos

Abschneiden

133. Sneit abe dy herten / von unden in beiden ferten
134. Vier sint der snete / zwene unden zwene oben mete
135. Zwir wer wol sneidet / den schaden her gerne meidet
136. Sneit nicht in vreize / betrachte io vor dy reise
137. Du magst wol sneiden / alle krewtz nür reisen vormeiden
138. Wiltu ane schaden bleiben / zo bis nicht gee mit dem sneiden

Händedrücken

139. Deyn sneide wende / zu flechen drücke dy hende[ref]139. ACI: flechen, D: slahen
140.-144. nur in A.[/ref]
140. Ein anders ist wenden / eyns winden das dritte hengen
141. Wiltu machen vordrossen / dy fechter so drucke mit stössen
142. Ober dy hende / hewstu hewet man snete behende
143. Zewch och dy snete / obe aus ober dem hewpte
144. Wer hende drückt / ane schaden vor finger zückt

Hängen

145. Zwey hengen werden / aus eyner hant von der erden
146. In allen geferten / hewe stiche leger weich ader herte
147. Sprechfenster mache / stant frölich sich syne sache
148. Slach das her snabe / wer von dir sich zewt abe [ref]148. A: slach B: hauw snel.
149.-150. = 62.-63.[/ref]
149. Ich sage vor ware / sich schützt keyn man ane vare
150. Hastu vornommen / czu slage mag her kleyne komen

Fühlen

[ref]nur in A.[/ref]
151. Is das du bleibest / am swerte da mete auch treibest
152. hewe stiche ader snete / das fülen merke mete
153. an alles vor zu zihen / Vom swerte du nicht salt flien
154. Auch wen meister gefechte / ist am swerte von rechte
155. Wer an dich bindet / der krig mit im sere ringet
156. Das edle winden / kann in auch schire finden [ref]156.-160. Überleitung von “Hängen” zu “Winden”.[/ref]
157. Mit hewen mit stichen / mit sneten findest in werlichen
158. In allen winden / hewe stiche snete saltu finden [ref]158.=48.[/ref]
159. Das edle hengen / will nicht syn an dy winden
160. wen aus den hengen / saltu dy winden brengen

[ref]160. vgl. 172.[/ref]

Winden

161. Von beiden seiten / ler acht winden mit schreiten
162. Und io ir eyne / der winden mit drey stöcken meyne
163. So synt ir zwenzik / und vier zele sy enzik
164. fechter das achte / und dy winden rechte betrachte
165. Und lere sy wol füren / so magst du dy vier blössen rüren
166. Wen itzliche blösse / hat sechs ruren gewisse

Beschliessung der Zettel

[ref]Statt “Winden” (161.-166.) haben CDIG einen Abschnitt “Beschliessung der Zettel” in acht Versen, davon drei übereinstimmend mit “Winden” aus A, und zwei weitere anklingend an Verse aus dem “Einschub” zwischen Schiler und Scheitler in A (s.u., 172.-173.)[/ref]

(161a.) Wer wol fürt und recht pricht / und endlich gar bericht
(161b.) und pricht besunder / ieglichs in drei wunder
(161c.) wer recht wol henget / vnd winden do mit pringet[ref]161c. vgl. 172.[/ref]
(161d.) und winden acht / mit rechten wegen betracht
(162.) und ir eine / der selben winden selbdritt ich meine
(163.) so sind ir zwenzig / und vier zelt sie ainzig
(161.) von paiden seitten / acht winden lere mit schreiten
(161e.) und pruef die gefert / nicht mer nur waich oder hert [ref]161e. vgl. 173.[/ref]

(Einschub)

[ref]in A zwischen Schiler und Scheitler, wohl eine eigene Dichtung des Glossators, enthält aber einige Liechtenauer-Verse.[/ref]

167. Wo man von scheiden / swert zucken siet von in beiden
168. Do sal man sterken / und dy schrete eben mete merken
169. Vor noch dy zwey dink / prüfe und mit lere abe sprink
170. Folge allen treffen / den starken wiltu sy effen [ref]170.=109.[/ref]
171. Wert her so zucke / stich wert her io zu ym rücke
172. Dy winden und hengen / lere kunstlichen dar brengen
173. Und prüfe dy ferte / ab sy sint weich aber herte [ref]173.=106.[/ref]
174. Ab her denne starck ficht / zo bistu kunstlich bericht
175. Und greiffet weite her ader lenge an / das schissen gesigt im an
176. Mit synen slaen harte / schützt her sich triff ane forchte
177. Haw dreyn und hurt dar / rawsche hin trif ader la varn [ref]177.=6.
178.=23.=51.
179.=53.[/ref]
178. Haw nicht zum swerte / sonder stets der blössen warte
179. Du treffest ader felest / so trachte das du der blössen remest
180. Mit beiden henden / zum ogen ort lere brengen
181. Ficht io mit synnen / und allemal den vorslag gewynne
182. Her treffe ader fele / mit dem nochslage zu hant reme
183. Zu beiden seiten / zu der rechten hant seite im schreite
184. So magstu mit gewynne / fechtens ader ringens begynnen

Kurzfassung

“Minimalbestand” (A und B gemeinsam).
1. Jung Ritter lere / got lib haben, frawen io ere
2. So wechst dein ere / übe ritterschaft und lere
3. kunst dy dich zyret / und in krigen sere hofiret
4. (Ringens gut fesser) / glefney sper swert unde messer [ref]4. A: Ringens gut fesser, B: om.[/ref]
5. menlich bederben / unde in andern henden vorterben

32. Irschrikstu gerne / keyn fechten nymmer lerne
21. Wer noch get hewen / der darf sich kunst kleyne frewen
29. Vor noch dy zwey ding / syn allen kunsten eyn orspring [ref]29. A: kunsten, B: dinge.
46. A: sey nicht goch, B: sy nicht mach. [/ref]
46. Indes und vor noch / ane hurt deme krige sey nicht goch
47. Wes der krig remet / oben neden wirt her beschemet
26. Hör was do slecht ist / ficht nicht oben link zo du recht pist
27. Und ob du link pist / ym rechten auch sere hinkest
62. Ich sage vor ware / sich schötzt keyn man ane vare
63. hastu vornomen / czu slage mag her kleyne komen

38. Zornhaw krump twere / hat schiler mit scheitelere
42. Der dir oberhawet / zornhaw ort deme drewet
43. Wirt her is gewar / nym is oben ab ane var
44. Pis sterker weder / wint stich siet her is nym is neder
64. Krump auf behende / wirf deynen ort auf dy hende
65. krump wer wol setczet / mit schreten vil hewe letczet
68. krump nicht kurcz hawe / durchwechsel do mete schawe
69. krump wer dich irret / der edele krig den vor virret
71. Twere benymet / was von dem tage dar kümet
85. (Schil) czu dem orte / vnd nym den hals ane vorchte [ref]85. A: schil, B: twer.
87. B: Der scheyteler myt sinen kere / deme antlitze ist gar gewere[/ref]
86. Schil in dem öbern / hawpte hende wiltu bedöbern
87. Der scheitelere (mit sinen kere) / dem antlitz ist (gar) gefere

145. Zwey hengen werden / aus eyner hant von der erden
148. Slach das her snabe / wer von dir sich zewt abe [ref]
148. Wer sich vor dir zchucht abe / hauw snel daz daß er snabe
66. hauw czu dem flechin / den meyster wiltun in streichen
73. B: hauw czuden phluge / zu den ochsen hartte . vuge fuge
22. B: haw und was du wilt / kein wesßeler kom an den schilt
[/ref]
66. haw (krump) zu flechen / den meistern wiltu sie swechen
73. (Twere) czu dem pfluge / czu dem ochsen herte gefuge
22. Haw (nahent) was du wilt / keyn wechsler kompt an dinen schild
99. Vier sint vorsetczen / dy dy leger auch sere letczen
100. Vorsetzen(s) hüt dich / geschiet das auch sere müt dich [ref]100. A: Vorsetczen, B: verseczens, CDGI: vor verse(t)czen.
101. B: Ist daz du vor satzt yß / Sich wy het da her komen yst
103. A: lere, B: om.
104. A: zwefach ader, B: trid vorbas und.
147. A: frölich, B: konlich. B: (147b.) Ane alle var / an twivel roye her gebar
158. A: saltu, B: lerne.
45. A: hewe stiche leger, B: ab dye leyger sint.
127. G: Czugke zrugket her zcugke me er be vint arbeyt die oin trid
78. A: Veller zwefache / in trift man den snet mete mache
B: wessellir zcwifagh den alden snit midde mach (vgl. 108.)
79. B: Czwifach furbaß / drid eyn hud und biß nicht laß
67. B: kome iß glichtzet obene / So standet abe daz ger ich lobe
119. B: sine ord mit twere trift und bricht
61. A: do neden, F: dar unden.
58. A: remen, F. om.
130. B: llaß den ort hangen / Be griff den knauf wiltu midde rangen[/ref]
101. Ab dir vorsatzt ist / und wy das dar komen ist
102. höre was ich rate / streich abe haw snel mete drate
103. Setzt an vier enden / bleib droffe (lere) wiltu enden
104. Nochreisen lere / (zwefach ader) sneit in dy were
147. Sprechfenster mache / stant frölich sich syne sache
158. In allen winden / hewe stiche snete saltu vinden
45. Das eben merke / (ob dye leger sint) weich ader herte
127. zucke (zuckt) er / zucke mer / erbeit her (w)ind (das tut im we)
78. (Veller) zwefache / (in trift man) den snet mete mache
75. Veller wer füret / von unden noch wonsche her rüret
79. Zwefaches vorpas / schreit yn (link) und weze nicht las
67. Wen is klitzt oben / stant abe das wil ich loben
119. Wer auf dich sticht / (dyn) ort trift und seynen bricht
60. Wiltu dich rechen / vier blössen kunstlichen brechen
61. Oben duplire / do neden rechten mutire
58. Vier blößen wisse / remen zo slestu gewisse
59. an alle var / an zweifel wy her gebar
130. (Durchlawf) loz (den ort) hangen / den knawf (be)greif wiltu mit rangen
134. Vier sint der snete / zwene unden zwene oben mete

Kommentar

1.-5. Der Imperativ “lerne” erstreckt sich wohl über 4.-5., also etwa:
“Junger Ritter, lerne Gott zu lieben und Frauen zu ehren, so wächst deine Ehre.
(Dazu) übe Ritterschaft, und lerne eine Kunst, die dich ziert, und die in Kriegen sehr hofiert;
(lerne) die guten Griffe im Ringen, (lerne) Glaive, Speer, Schwert und Messer männlich zu benutzen, und (lerne, wie du sie) in anderen (weniger kundigen) Händen nutzlos sein lässt.”

6.-7. “Hau drein und renne an” (‘hurten’ “stossend losrennen” im Turnier), “rausche hinan, triff, wenn nicht, lass fahren, so dass ihn die ‘Weisen, die man preisen sieht’ (Kampfrichter, Experten?) geringschätzen”.
Also Betonung des ungestümen Zufechtens in (angedeutet) einer Turniersituation.
8. “Darauf fasse dich (sei gewiss): Alle Dinge haben Länge und Mass” klingt nach einer Allerweltsweisheit, bezieht sich aber wohl auf die “Wissenschaftlichkeit” der Fechtkunst, besonders das Einhalten korrekter Mensur (was die vorangehende Ermutiging “hau drein und renne an” ev. etwas relativiert. (“mosse” noch einmal unten 34.)
Die Lesung zosse von A ist unverständlich aber so intendiert, denn sie wird 22v in der Glosse wiederholt.

9.-18. sind nur in A überliefert und mögen ein originaler Zusatz des anonymen Autors sein. Die Schreibung keyn für “gegen” (homograph mit “kein”) in 12. (auch 54. 110. 121.) ist ein ostmitteldeutsches Dialektmerkmal (vgl. “keine” in Historien der Alden E (1338/45) v. 811.

9. “Was du (auch) treiben willst, du sollst bei guter Vernunft bleiben”
10. Im Ernst oder im Spass (Wettkampf; ‘zu schimpf’ “im Scherz”), habe angemessen (‘limpf’) fröhlichen Mut
11.-12. So vermagst du mit gutem Mut aufmerksam betrachten, was du führen sollst und wie du dich gegen ihn bewegen (‘rühren’) sollst.
13. Denn guter Mut (zusammen) mit Kraft macht einen Widersacher zaghaft (i.e. mentale Dominanz demoralisiert den Gegner).
14. Danach richte dich: Gib keinem (Gegner) irgend einen Vorteil.
15.-18. Vermeide Tollkühnheit (‘Dummkühnheit’) und leg dich nicht mit einer Überzahl von vier oder sechs Gegnern an.
16-18. Sei zurückhaltend (‘sittig’ “ruhig, bescheiden”) mit deinem Übermut, das ist gut für dich: Wer sich getraut (‘tar’ “den Mut aufbringen”, engl. dare) gegen einen ebenbürtigen Gegner (seinesgleichen) zu bestehen, der ist (schon) ein kühner Mann, und es ist keine Schande, vor vier oder sechs (Gegnern) sofort (‘von hande’) zu fliehen.
16. hier und in 138. hat A den Imperativ bis statt des sonst verwendeten sey.

19.-20. Bereits in der frühesten Überlieferung verderbte Verse.
“Willst du Kunst schauen, so siehe: links gehn und rechts hauen, und links (hauen) mit rechtem (Gehen), wenn du stark Fechten möchtest.”
Wird bereits von den Glossatoren im 15. Jh. gedeutet als Anleitung für die Standard-Schrittarbeit im Zufechten, also “stehst du mit dem linken Fuss vor, haue ihm rechts oben ein.”
Das mag auch tatsächlich die Meinung der Verse sein.
Die Handschrift A unterscheidet mit von mete. Das erste ist unser “mit” (z.B.) 11. “mit gutem mute”. Dagegen hat mete eine Bedeutung näher bei “auch, und” (in einer Aufzählung).

21. “Wer Häuen nach geht, der darf sich an der Kunst nur wenig freuen.”
Wird gelesen als Aufforderung, das Vor zu suchen, d.h. nicht den Häuen des Gegners “nach gehen”, und nicht etwa den eigenen Häuen (was eine Beschreibung korrekter Technik wäre, d.h. Hau vor Schritt initiieren).

22. “Hau nahe was du willst, es kommt kein Wechsler an dein Schild”.
‘nahent’ als altes Adverb “nah”. Mehrere Interpretationsmöglichkeiten. […]

23. “Hau nicht zum Schwert, sondern stets zur Blösse” ein in A mehrfach wiederholter Vers, der sonst scheinbar nicht überliefert wurde. Eins zu eins im Anfängertraining einsetzbar.
24. Zum Kopf (und) zum Leib, ‘vermeide’ (unterlasse) nicht die “Zecken” (kleine, Finten-artige Angriffe?)
25. Ficht mit ganzem Leib, was du stark treiben möchtest (Kontrast zu den “Zecken” in 24.?)
26.-27. ‘slecht’ “schlicht, einfach, ungekünstelt, gewöhnlich”, also etwa “Im Allgemeinen fechte als Rechtshänder nicht von oben links zu, und als Linkshänder wirst du ebenfalls im rechten (oberen) Zufechten sehr ungelenk sein.”
Dieser Vers durchbricht die sonst oft angerufene Symmetrie des Systems “von beiden Seiten” und bezieht sich wohl auf das Zufechten bzw. die (Nichtexistenz der) Hut “vom Tag an der linken Schulter”.
28. Dieser Vers (nur in A überliefert) scheint zu besagen: Am besten ist das Zufechten mti dem Oberhau von rechts oben nach links unten.

29.-30. Grundprinzipien:
“Vor und Nach”, die zwei Dinge sind aller Kunst (aller Künste) Ursprung. “Schwäche und Stärke” (im Band), und das Wort “Indes” merke dir auch gut.

31. So magst du lernen, dich mit Kunst und Arbeit zu wehren (“Kunst” und “Arbeit” als Gegensätze, das eine bezeichnet überlegene Technik, das andere Anstrengung und Mühe (vgl. “Übung taugt wohl ohne Kunst, aber Kunst taugt nicht wohl ohne Mühe”).

32. “Erschrickst du gerne, kein Fechten lerne” — einer der beliebtesten Verse Liechtenauers, der über die ganze Lebensdauer der dt. Schule, 1400-1600, immer wieder zitiert wird.

33.-35. Nur in A überlieferte (und wohl dem anonymen Schreiber zuzuordnende) Liste von Eigenschaften,
etwa “Kühnheit und Raschheit, Vorsicht (Voraussicht), List und Klugheit, Vernunft, Verborgenheit (d.h. die eigene Absicht verbergen, “nicht telegraphieren”), Mass (Mässigung? Distanzgefühl?), Vorbetrachtung und Fertigkeit (Schnelligkeit, promptitudo) will das Fechten haben, und auch ein fröhliches Gemüt (Zuversicht).”

36.-41. Merkvers für die Hauptstücke (und Inhaltsangabe der noch folgenden Verse),
“Fünf Häue lerne von der rechten Hand wider die Wehre”: auch hier scheint wieder das Zufechten von rechts betont zu sein.
Die fünf Häue: Zornhau, Krumphau Twerhau, Schiler, Scheitler.
“Alber” scheint pars pro toto für die vier Huten (Leger) zu stehen.
Dann die Liste der Techniken (in A in der dritten Person):
versetzt, nachreist, überläuft (“Häue letzt” scheinbar für den Reim eingefügt, jedenfalls wird hier die Inhaltsangabe durchbrochen; für “absetzt”(?) ‐ im Vergleich zu den explizit numerierten “Hauptstücken” in C (13r) fehlt hier das Absetzen), durchwechselt, zuckt, abschneidet, händedrückt.
Dann “hänge” und “wind” scheinbar als Imperative; damit ist die Inhaltsangabe eigentlich abgeschlossen, allerdings könnte “mit blössen” noch auf den Abschnit “vier Blössen” deuten, der in A zwischen Zornhau und Twerhau eingefügt ist.
Schliesslich “Schlag fange auf (‘vach’) Streich, Stich mit Stössen” schwer verständlich
(Substantive oder Imperative? etwa “schlage, fange Streiche auf, stich mit Stössen”?)

42.-44. beschreiben ein Stück “Zornhau-Ort-Abnehmen-Winden-Unterhau”.

45.-57. gehen eher wieder in Richtung “allgemeine Lehre” und es werden einige Grundprinzipien aufgezählt (und vom Glossator auch aufgenommen, zu 46.: “auch sollst du nicht sehr eilen mit dem Krieg”).
Dabei sind 51.-57. nur in A überliefert, und gehören möglicherweise nicht zum Originalbestand der Zettel. Darunter 51.=23.=125.=178., der “Lieblingsvers” von A.
50. äffen “narren” bereits seit dem 13. Jh., Affe ist ein erstaunlich altes, möglicherweise schon eisenzeitliches Wort, das ev. bereits eine Bedeutung “Narr” hatte, bevor es das Tier bezeichnete (anbei, noch bei Grimm “mit abgelegtem kehllaut des skr. kapi“, nach einer Idee von Bopp, kaum mehr vertretbar, dann eher noch “Wassergeist”).
54.-56. sind offenbar nachgetragen (von derselben Hand) am unteren Seitenrand eingefügt, aber mit einem Einfügezeichen (*) als an 53. anschliessend markiert. 57. am rechten Seitenrand, gefolgt von einem weiteren, durch Beschneidung des Papiers nur verstümmelt überlieferten Vers, ” […] ader [..]gens begynnen”.

Zu “rähmen” (47., 53., 58., 113., 179., 182.) râme und ræme “als Ziel ins Auge fassen, trachten nach”, offenbar alte (mhd., 14. Jh.) Fechtterminologie. Auch eines dinges geræme sîn “auf der Hut sein”; nur noch in unserem “anberaumen”. N.b. existiert der terminus technicus “Hut” in den Versen noch nicht (stattdessen “Leger”, und nur “hüt dich” in 100. “vor Versetzen hüt dich” = “Versetze möglichst nicht”), bereits aber in A die Glosse “Hie nent her vier leger ader vier hute”.

58.-59. bilden zusammen einen Satz: “Vier Blössen wisse zu rähmen (anzugreifen), so schlägst du (ihn) gewiss ohne Gefahr, ohne Zweifel wie er verfahre.” (zwîvel “Ungewissheit, Besorglichkeit, Wankelmut”)

60.-61. “Willst du dich rächen (und die) vier Blössen kunstvoll brechen, mutiere oben und dupliere (recht) unten.” . Zur zweifelhaften Syntax (bzw. dem zweifelhaften Reim) bietet B eine attraktive Alternative, wiltu die rechten 4 plez kunstlich prechen oben duplir vnd(en) recht mutire “Willst du die rechten vier Blössen kunstvoll brechen, …”
recht als Füllwort “richtig, wahrhaft, gehörig” oder in der Bedeutung “in gerader Linie” (Gegensatz zu krump)?.
“Duplieren” und “Mutieren” sind sehr auffällig als die einzigen offensichtlichen Latinismen in den Versen, sie sind aber übereinstimmend in allen Handschriften (auch in B) überliefert.

64.-65. Der Krumphau für Handtreffer und für das “Häue letzen” (Fechten aus dem Nach).

66. Exzeptionelle (noch 139.) Erwähnung der “Flächen” (flech: schon im 13. Jh. mit der vleche slahen). Auch hier hat B die attraktivste Syntax, hawe zu den flechen den meistern willtu sie swechen “Willst du sie erniedrigen (besiegen), hau den Meistern (krumm) zu den Flächen”. G hat als einzige Version mit flechen (statt zu (den) flechen)

66. glitzt “glänzt”: Lexer zitiert ausserdem eine Glossierung als vibrare (Diefenbach 1857). “Stand ab” (B: “tritt ab”): Distanz erstellen.

68. “kurz” vom Glossator (A) wörtlich genommen, “soll nicht zu kurz hauen, und soll des Durchwechsels nicht vergessen”, aber B hat die Alternative kumpt nicht kreuczhaw d(u)rch wechsel dar [mi]t schaw (einen “Kreuzhau” treffen wir erst in späteren Fechtbüchern (Wittenwiler, Meyer) wieder an).

69.-70. krig wie in 46./47. (aber nicht 3.?) “Anstrengung, Widerstand”? Fragwürdige Syntax, etwa: “(Haue) krump, den, der dich irre macht; der edle(?) Wettkampf (aktiv geleisteter Widerstand) verwirrt ihn derart, dass er fürwahr nicht mehr weiss, wo er ohne Gefahr sein kann.”

71. “von dem Tage herab” (als Leger in 94.), B: “vom Himmel herab”.
Zu twer(e) (D: twirg, I: zwerch): dasselbe Wort wie unser “quer”. Grosse dialektale Unterschiede, twer ist (heute) spezifisch niederdeutsch,
quer ist ursprünglich mitteldeutsch (14. Jh., tw- > kw), zwerch ist oberdeutsch (seit dem 13. Jh.). twer ist auch die Form, die A in den Glossen bevorzugt; diese Form in einem mitteldt. Kontext könnte ein Datierungsmerkmal für die Niederschrift von A sein (also eher vor also nach 1400?).

75. velen erst im späteren mhd. aus altfranzösisch falir. B hat noch veiler, A (irrtümlich?) veller (“Fäller”?). Entweder “Wer ‘Fehler’ führt, von unten nach Wunsch er rührt (trifft)” oder “‘Fehler’ verführt (täuscht)”.

76. “Verkehrer” ist eine wichtige Technik in Joachim Meyer. A gibt dazu keine Glosse, C glossiert mit “Halbhau” und “Wendehand”, “verkehrt” bezieht sich auf die Handposition. twingen oft übersetzt als “erzwingen”, also “der Verkehrer erzwingt das Durchlaufen und Ringen”, aber die Grundbedeutung des Verbs ist “drücken”. Hagedorn hat richtiger “damit bedrängt man den Gegner”.

77. Der Plural “spring in den Waagen” nur in A, die anderen Hss. haben “spring in die Waage”. Nur C hat “spring ihm in die Waage.

78.-79 beschreibt ein Stück “doppelter Fehler”. Die syntaktische Rolle des man in 78. ist unklar. B hat den allten snit mitte mache.
Die Abtrennung des es in der Lesung zweifach es fürbass is wohl eine Verderbung des zweifaches fürbass von AB, beschrieben sind die zwei Schritte zu den zwei Fehlern. fürbass ist nur eine Verstärkung von für “nach vorne” (bass zu besser, gilt als Steigerungsform von wohl).
Das schreit in link ist suspekt, erstens weil zwei Schritte gemeint sind, von denen einer nach links und einer nach rechts geht, zweitens wegen dem syntaktisch zweifelhaften in; daher ist es aufschlussreich, dass B die Variante hat “tritt in Hut”, und D das dazu stimmige “schreit in den tag”.

80.-81. wohl dem Glossator von A zuzuschreiben, vgl. 33.-35.

82.-86. zu bedöbern: Kleinau (2012) verweist auf Müller, Allgemeines Verteutschungswörterbuch der Kriegssprache (1814) s.v. “Imponiren”. Hier steht, dieses Wort sei eine nordsächsische Variante von beobern mit einer Bedeutung “einem imponieren”. Diese Bedeutung passt aber schlecht zu “Haut (und) Hände bedöbern” und bleibt für mich unattraktiv, solange kein mhd. Beleg vorgebracht wird. Allenfalls zu erwägen: mhd. beteben “über etwas fahren, drücken”, passt in der Bedeutung, zerstört aber den Reim. DWB zu döbel: “tüpfel tipfel tippel, die stelle die man berührt, auf die man gestoszen hat”, allso vielleicht “berühren” mit einem zusätzlichen r um des Reimes willen. Auf jeden Fall wurde das Wort schon früh auch von den Glossatoren nicht mehr verstanden. G hat “bederben”, D hat die offenslichtliche Emendation “bei den Ohren”. F hat ist daz du jn wilt bedekern. Zur Bedeutung: “schiel zum obern Haupt (zum Scheitel), wenn du die Hände treffen willst”. Die Glosse in C motiviert “Schielhau” so, mit dem “Schielen zum Haupt” als Täuschung; dagegen hat A “get recht zam schilende ader schiks dar czu eyner zeiten”, also der Hau “geht gleichsam ‘schieldend’ oder schräg zu einer Seiten”, das “Schielen” wird also in einem übertragenen Sinn verstanden. Mhd. schilhen heisst aber tatsächlich “schielen”, während schicks (zu schiec) = “krumm, schief”. Dass die Verse “schielen” im Wortsinn meinen, also Täuschung durch irreführende Blickrichtung, wir auch durch 84.-85. suggeriert.

87.-88. CDG übereinstimmend “Der Scheitler ist dem Antlitz gefährlich, mit seiner Kehre ist er der Brust gefährlich”, mit dem Versuch “gefer(e)” einmal auf “scheitler(e)” und einmal auf “ker(e)” zu reimen. B und F machen daraus nur einen Vers, Der scheyteler myt sinen kere / deme antlitze ist gar gewerebzw. der schaitler mit seynen korn deinß antlicz ist geforn. A stimmt (als vermutete Vorlage) mit CDG überein

93.-94. Gute Übereinstimmung von ACDGI in der Nennung der Leger (kleine syntaktische Abweichung: A nicht sey dir vs. CGI s(e)y dir ni(ch)t, D: dir nit: F hat: 4 leger allein nym). Wie vom Glossator A kolportiert haben wir hier in Liechtenauers eigenen Worten die Meinung, nur von diesen vier Legern (Huten) sei “etwas zu halten”. Eine Entsprechung in B fehlt. In der Glosse von A noch ein weiteres “Sprichwort” von Liechtenauer, wer do leit der ist tot / Wer sich rueret der lebt noch. Diese Nennung einer nicht gereimten Aussage von Liechtenauer, und die beiläufige Selbstverständichkeit, mit der sie mitgeteilt wird, ist für mich das beste Indiz dafür, dass der Glossator von A ein direkter Schüler Liechtenauers ist.
Der Pflug wird hier noch ausdrücklich mit gesenktem Ort beschrieben (auch so gezeichnet in D1).

95.-96 werden von A eingeschoben zwischen der Beschreibung von Ochs und der von Alber. Ochs wird ausdrücklich mit “Oberhängen”, Alber mit “Unterhängen” gleichgesetzt.

105. “zwei Äussere minne” vs. “zwei äussere Minne(n)”: oft Interpretationsversuche zur Bedeutung “lieben”. Die Kernbedeutung des Verbs ist aber einfach “eingedenk sein, daran denken”, im 14. Jh. allerdings zugegebenermassen längst überlagert durch die modischere Bedeutung “lieben” usw. als Substantiv “Minne” aber bleibt aber die Bedeutung “Erinnerung, Andenken” lebendig. Dass das Wort als unpassend empfunden wurde zeigen auch die Emendationsversuche in DGI. Hagedorn: “trachte nach”. Die Glossen haben hier kaum etwas beizutragen, nur Ringeck (I 37v/38r) glossiert Von der eüßern nÿm mit Merck die zwi eüssere mÿm [oder: mÿnn?] das sind zwai nachraisen am schwert , also nicht als Imperativ “minne” gelesen, sondern “die äusseren Minn” als nicht weiter analysierter terminus technicus.
Aber die Interpretation “liebe die zwei äusseren [Nachreisen]” ist auch nicht allzu abwegig in anbetracht der anderen emotional behafteten Ausdrücken in den Verben (hassen, loben/preisen, äffen, usw.)
Was diese “äussere” und “zweifache” Technik im Nachreisen genau sein soll, wird so oder so nicht klar; B hat dagegen das erfrischend einfache “Nachreisen ler(n)e, tritt fürbass und schneid in die Wehre”.

107. Der zentrale Vers zu Fühlen und indes, C führt dazu eigens einen Zwichentitel ein (und für 108. dann wiederum Aber von Nachraysen). Für indes steht mhd. meist innen des, aber (Grimm): “besteht auch schon gekürztes indes: reht indes dô ez tagte [Parzival]”.

108. den alden wohl für den andern (*anter~alter). Dass CDGI einheitlich “trifft man den alten schnitt mit mach(t)” haben ist ein starkes Indiz für ihre gemeinsame (schriftliche) Abkunft, es liegt offenbar eine Vermengung mit Vers 78. (zum Fehler, trift man den snet mete mache) vor. B hat noch: wessellir zcwifagh den alden snit midde mach. Wir haben also Fehler, Nachreisen und Wechsler(?), die alle “zweifach” geführt werden sollen, und einer der Verse endete mit diesem “alden Schnitt”, wir können aber nicht mehr sicher sein, welcher es war.

113. “Wer auf die unteren Blössen zielt, den überlaufe”.
114. klitzt: vgl. 67.
115. Nur bei G: hert oder waich durch zwifach, sonst “Mache deine Arbeit, ‘oder’ drücke hart, zweifach” (in 117. expliziter von beiden seiten).

118. Das Motiv “Häue letzen” schon 65. (Krumphau) und 99 (Versetzen), in diesem Vers aber zudem Wiederholung aus dem zusammenfassenden Vers 39.
118.-120. G hat diese Verse doppelt (statt dem fehlenden Händedrücken), wobei 118./119. in der Wiederholung zu einem Vers vermengt werden; die Wiederholung von 120. hat die mehrheitliche Lesung triff alle mal wild dw schreiten, gegen trif alle wol schreitenn.

127. beruht offensichtlich auf einem Originalvers, überliefert in A, B, F und CDGI (126. dagegen nur in ACDGI), der aber schon früh unverständlich war. Der erste Halbvers ist BF: “Zucke, zuckt er zucke mehr” vs. ACDGI: “Zucke, trifft er, zucke mehr”.
Für den zweiten Halbvers haben wir zur Auswahl:
B: be vint arbeyt die oin trid wessellir,
F: er besint orbt die drit jm we,
ACDGI: arbeit (er wind/erfind) das tut im we, mit Varianten: A: her wind, I: wind, C: erfinde, G: er vinde, D: er vindet. Nur B hat einen (schlechten) Reim mer:wechsler.

130. ein stemmatologisch sehr interessanter Vers: BF “haben (be)greif den Knauf”, ACDGI “mit dem (Knauf/Knopf) greif”, wobei “Knopf” bei CDI und das (scheinbar ältere) “Knauf” bei AG. Dazu emendieren DG “ringen” für das reimende “rangen”. Die ererbte Form ist (h)ringan, aber mhd. rangen ist belegt (ev. dialektal (schweiz. ranggen), hier aber v.a. um des Reimes willen gewählt).

134. einer der seltenen in ABCDFGI einheitlich überlieferten Verse, allerdings vertauscht F “unten” und “oben” und lässt das reimende mit(e) (“und auch”) aus.