Sempacherlied

Ein Lied von dem Strit ze Sempach 1386.

(das Halbsuterlied, ca. 1480; nach Tschudi u. Steiner, ca. 1530)

(Strophen 1, 22-23, 27-30 als mp3 von Christoffel)

1. Im tusend dryhundert und sechs und achzigsten Jahr
do hat doch gott besunders sin gnad ton offenbar
he, der der eidtgnossschaft, ich sag,
tet inen gross bistande uff Sant Cirillen tag.

2. Es kam ein herr gezogen gen Willisow in die stadt,[ref]2: Tschudis Version ist konfus. Er hat bär (für Bern) statt herr, und der Bienenschwarm fliegt an die Waffen des Herzogs, als derselbig hertzog für die linden zog. Das macht keinen guten Sinn (was macht der Hezog bei den Linden, wenn das erst ein Omen seiner Ankunft sein soll?). Bei Steiner ist es einfach ein Bienenschwarm, der sich einem Herren auf den Wagen setzt, was dann als Omen für eine Heerfahrt gedeutet wird. Senckenberg hat waffen statt wagen.[/ref]
do kam ein imb gflogen, in dlinden er genistet hatt.
he, der im an wagen flog.
als derselbig herr, wol für die linden zog.

3. “Das dütet frömbde gäste”, so redt der gmeine man
do sah man wie die veste, dahinden zWillisow bran.
he, sie redtend uß übermut,
“die Schwitzer wend wir töden, das jung und alte blut.”

4. Sie zugend mit richem schalle von Sursee uss der statt,
dieselben herren alle, so der herzog gesamlet hat.
he “und kosts uns lib und leben,
die Schwitzer wend zwingen, und inen einen herren geben.”

5. Sie fiengend an zu ziechen, mit ir köstlichen watt.[ref]5: Watt (wât) “Kleidung”
6: Tschudi: schmächlich, Steiner: lasterlich< 7: erneren “heilen, am Leben erhalten” (ist gemeint ernen “ernten”?), erne “Ernte”, im Hinblick auf die Mäher weiter unten. D.i. ironisch, denn die Mäher Leopolds sollten natürlich nicht die Ernte einbringen, sondern sie zerstören. Tschudi: wend ir üch da erneren; Steiner: wend si sich des bemeren.
7-9: Das ist der Anfang in der Version von Russ:
 1. Die niderlendschen herren, die zugent ins oberlant. went si der selben reise pflegen, si sönt sich bass bewaren si söllent bicht verjehen, von den oberlenschen hern ist inen gar we beschehen.
 2. Wo ist denn der pfaffe, der uns nun bichten sol? ze Schwiz ist ers gesessen: er kan üch bichten wol. er kan wol buosse geben; mit scharpfen hallenbarten so gibt man üch den segen.
 3. Das ist ein scharpfe buosse, her pie domine, die wir nun tragen muessen: das tuot uns iemer we. wir muessents iemer klagen, dass wir die herten buosse von eitgnossen muessen tragen.[/ref]
das völcklin fing an fliechen, gen Sempach in die statt.
he, das uff den ackern was,
den herzog sah man ziehen, mit einem her, was groß.

6. Welch frowen sie begriffen, namend sie zu der hand,
hand inen abgeschnitten, wol ob dem gürtel ir gewand,
he, und ließens so schmächlich ston,
do battends gott von himmel, er welts nit ungrochen lon.

7. Ir niderländischen herren, ir ziend ins oberland
wend ir üch da erneren, es ist üch noch unbekannt;
he, ir sollent zvor bycht verjechen.
In oberländischer erne, möcht üch wol wee beschechen

8. Wo sitzt dann nun der pfaffe, dem einer da bychten muss?
zu Schwitz ist er beschaffen, er gibt eim harte buss;
he, die wird er üch ouch schier geben,
mit scharfen halebarten wird er üch gen den segen.

9. “Das wär ein schwäre busse, gnad herr, herr domine,
So wir die tragen müßten, es thät uns jemer wee;
he, wem soltend wir es klagen
wo wir ein solche busse von Schwitzern müstind tragen?”

10. An einem mentag früe, do man die mäder sah,
jetz mäyen in dem towe, davon inen wee beschah,
he, und do sie gemayet hand,
do bracht man in zmorgenbrode vor Sempach uff das land.

11. Rutschmann von Rinach nam ein rott, reit zu Sempach an den graben[ref]11: Rutschmann von Rinach (Tschudi): Bei Steiner Hanns von Küssnacht.[/ref]
“nun gend haruß ein morgenbrod, das wend die mäder haben;
he, wand sie sind an dem mad,
und kommend ir nit balde, es möcht üch werden schad.”

12. Do antwurt im gar gschwinde, ein burger us der stadt:[ref]12: “und ouch grafen”, “ligen” (Tschudi) : “unnd auch knechte”, “bliben” (Steiner).
[/ref]
“wir wend sie schlon um dgrinde, gar schier in irem mad,
he, in gen ein morgenbrod,
daß ritter und auch knechte am mad wird bliben todt.”

13. “Wenn kummt das selbig morgenbrodt, daß ir uns wellind gen?”[ref]13: gnot (gnôte ) “dringlich, eifrig”. Statt DEydgnossen kament jetzt gar gnot hat Steiner: won wir die küw gemelchet.[/ref]
“deydgnossen koment ietzt gar gnot, so söllends irs wol vernen:
he, sie werdends üch richten an,
daß üwer etwa menger den löffel wird fallen lan.”

14. Gar bald si do venamend, von Sempach us der burg,[ref]14: Ban (ban-holz?) “Wald”[/ref]
wie daß deydgenossen kamend, do ritt der von Hasenburg;
he, er spächet in dem ban,
do sach er bi einandern, meng klugen eidtgnossen stan.

15. Die Herren von Lucerne streckten sich vestiglich,
an mannheit gar ein kerne, keiner sah nie hintersich,
He, ieder bgert vornen dran.
do das sah der von Hasenburg, wie bald er gritten kam.

16. Und tett zum läger keren, gar bald er zum hertzog sprach:[ref]16: allein uff diesen Tag: Johann Ulrich von Hasenburg bittet Lüpold, er solle einen Tag warten. Dies, weil Verstärkung erwartet wurde, durch eine Abteilung unter Johann Bonstetten, die Zürich bedrohen sollte. Hans von Ochsenstein, Domprobst zu Strassburg, verhöhnt den ortskundigen Hasenburg.
17: “wer” (Steiner) : “wedrer” (Tschudi)
18: “und tatends fürher tragen” (Tschudi) : “und wolltends fürhin tragen” (Steiner). ein wagen (Tschudi): zwen wagen (Steiner); die andern gmeinen knechte (Tschudi): die armen gemeinen puren (Steiner).
19: “die biderben eydgnossen rufftend gott im himmel an” (Tschudi) : “die fromen slechten puren, die muosstend dahinten stan.” Die “Bauern” sind hier nicht etwa die Eidgenossen, sondern die Kriegsknechte des Adels. Der Adel will vorne stehen aus Sorge, die Knechte würden sonst die ganze Schlacht alleine ausfechten. Damit “würde ihr Lob klein”, d.h. sie müssten von dem Feldzug heimkehren ohne auch nur einen Streich getan zu haben. Deshalb stellen sie die Knechte nach hinten und bilden selbst die Schlachtreihe.
20: Tschudi: bittern; Steiner: hertten.
22-25: Verse 4-7 von Russ:
 4. Von Lucern, von Ure, von Switz, von underwald vil meng guot biderman ze Sempach vor dem walde, do inen der lew bekam, si warent hochgemeit: “her lew, wiltu hie vechten? es ist dir unverseit.”
 5. Do sprach der lew zuom stiere: “du fuegst mir eben recht ich hab uf diser heide breit guot ritter und ouch knecht ich will dichs wüssen lan dass du mir hast vor Loupen gar vil ze leid getan.
 6. An dem Morgarten, da erschluogt mir mengen man: ich will es dir hie vergelten, ob ichs gefuegen kan” so ruck herzuobar bass dass dich der selbe pfaffe bichte dester bass.”
 7. Der lew begonde russen und schmucken sinen wadel. do sprach der stier zuom lewe: “wöll wirs versuochen aber? so tritt harzuohar bass, dass dise gruene heide von bluote werde nass.”
25: russen (rûzen=”rauschen”) “brüllen”; stritt für tritt?
26: schimpf “Scherz, Spiel”. Hier wird Artilleriebeschuss der Eidgenossen, die im Wald Deckung nehmen, beschrieben. Das ist ein starker Hinweis darauf, dass diese Strophen, also wohl auch die “Winkelriedstrophen” 27-30, zur Zeit (und unter dem Eindruck) der Burgunderkriege entstanden. Für die Entstehung des Liedes halte ich es dennoch für gut möglich, dass die 15 Strophen bei Russ wesentlich älter sind, möglicherweise wirklich in den Jahren nach 1386 gedichtet, und um 1480 allgemein bekannt und gesungen, so dass Russ ein altes Lied abdruckt, dass etwa gleichzeitig auch in eine lange, “abendfüllende” Version erweitert wird, wobei entweder (a) Halbsuter bekannt war als Dichter des ursprünglichen Liedes, was vom anonymen Dichter der erweiterten Version anerkannt wird, oder (b) Halbsuter der Dichter der erweiterten Version ist, der sich im Kolophon selber verewigt. Wenn die Strophen bei Russ wirklich 80 oder 90 Jahre älter sind als die um 1530 abgedruckte lange Version, müsste man auch die “10 Hauptbanner” als historisch glaubwürdiger gelten lassen als die später behaupteten “15 Hauptbanner”.
27: frevel “Kühnheit”
28: Steiner: bschlossen; Tschudi: gstossen.
30: “so wurds deidgnossen han kostet noch mengen bidermann.” (Tschudi): “müesst menger fromme Eidgnosse sin leben verloren han” (Steiner).
31a: zusätzliche Strophe bei Steiner.

Etwa 31-33 entspricht Vers 8 von Russ:
 8. Si begonden zsammen tretten, si griffents frölich an, biss dass der selbe lewe gar schier die fluchte nam. er floch hin biss an den berg: war wiltu rucher lewe? du bist nit eeren wert.[/ref]
“ach gnediger fürst und herre! hettind ir hüt ir gemach,
he, allein uff diesen tag:
das völklin hab ich bschowet, si sind gar unverzagt.”

17. Do redt ein herr von Ochsenstein, “o Hasenburg, Hasenhertz!”
im antwurt der von Hasenburg: “dine wort bringend mir schmertz;
he, ich sag dir bi der trüwe min,
man sol noch hüt wohl sechen, wer der zäger werde sin.”

*

18. Sie bunden uff ir helme, und tatends fürher tragen.
von schuhen huwents dschnäbel, man hätt gefüllt ein wagen;
he, der adel wolt vornen dran,
die andern gmeinen knechte, müstend dahinden stan.

19. Zusammen sie nun sprachend: “das völckli ist gar klein,
söltind üser puren slahen, unser lob das wurde klein
he man spräch: ‘die purn hadns gethan’.”
die biderben eidgenossen rufftend gott im himmel an:

20. “Ach reicher Christ von himel! durch dinen bittern tod,
hilff hüt uns armen sündern, uß dieser angst und not,
he, und tu uns byestan.
und unser land und lütte, in schirm und schutz behan.”

21. Do sie Ihr bätt vollbrachtend, gott zu lob und auch zu eer,
und gottes lyden gdachtend, do sandt inen gott der herr,
he das hertz und manneskrafft,
und daß sie tapfer kertend, jetz gegen der ritterschaft.

22. Lucern, Uri, Schwitz, Unterwalden, mit mengem bidermann
zu Sempach vor dem walde, da inen der löw bekam,
he, der ruch stier was bereit,
“her löw wiltu hie fechten, das sig dir unverseit.”

23. Der löw sprach “uff min eide, du fügst mir eben recht,
ich hab uff dieser heide mang stolzen ritter und knecht,
he, ich will dir gen den lon,
daß du mir einst zu Loupen gar viel ze laid hast ton.”

24. “Und an dem Moregarten, erschlug mir mengen mann,
von mir musts hüt erwarten, ob ichs gefügen han,
he, das sig dir zugeseit.”
do sprach der stier zum löwen: “din tröwen wird dir leid.”

25. Der löw fing an ze russen, und schmucken sinen wadel,
do sprach der stier “ruck ußhen, wend wirs versuchen aber.
he, so stritt hie zu her baß,
daß diese grüne heide von blut mög werden naß.”

26. Sie fiengend an ze schießenn, zu inen in den than,
man griff mit langen spiessen die frommen eidgnossen an.
he, der schimpf der was nit süß,
die äst von hochen böumen fielend für ire füß.

27. Des adels her was veste, ir ordnung dick und breit,
das verdroß die frommen geste, ein winkelriet der seit:
he, “wend irs gniesen lon,
min fromme Kind und frowen, so will ich ein frevel bston.”

28. “Trüwen lieben eidtgnossen, min leben verlür ich mit,
sie hand ir ordnung bschlossen, wir mogänds in brechen nit.
he, ich will ein inbruch han,
des wellend ir min gschlechte in ewig geniessen lan.”

29. Hiemit do tett er fassen ein arm voll spieß behend;
den sinen macht er ein gassen, sin leben hatt ein end.
he, er hat eins löwen mut,
sin manlich dapfer sterben was den vier waldstetten gut.

30. Also begunndentz brechen, des adels ordnung bald,
mit howen und mit stechen; gott siner seelen walt!
he, wo er das nit hett gthan,
so wurds deidgnossen han kostet noch mengen bidermann.

31. Sie schlugend unverdrossen, erstachend mengen man.
die frommen eidgenossen sprachend einandern tröstlich an;
he, den löwen es sehr verdroß,
der stier tett vindlich sperren, dem löwen gab er ein stoß.

31a. Der adel stach um sich wüste, das tribend si mit acht.
di schwyzer zuo der zytte namend inen die spiess mit macht,
he, unnd griffends erst frölich an
mit iren hallenparten, da erschluogend sy mengen man.

32. Der löw fing an ze mawen, und treten hintersich,[ref]32: Tschudi startzen = stertzen “starr aufstellen” ; Steiner: stützt. “das er blieb uff dem plan” (Tschudi) : “das er gar kum entran” (Steiner).[/ref]
der stier startzt sine brawen, und gab im noch ein stich,
he, das er blieb uff dem plan.
“ich sag dir, rucher löw, min weid must hie mir lan.”

33. Der pfaff hat si gebychtet, die buß ouch jetzund geben,
der löw fing an ze wychen, die flucht fugt im gar eben,
he, er floch hin gen dem berg.
der stier sprach zu dem löwen: “du bist nit eeren wert.”

34. “Züch hin du rucher löwe, ich bin by dir gewesen,[ref]34: Das ist Vers 15 von Russ (also der Schluss):
 15. Nun sprach der stier zuom lewe: “nun bin ich hie gewesen du hast mir dick getrewet, ich bin von dir genesen. nun ker du widrumb heim zuo diner schönen frowen, din er sint warlich klein.”
35-36: Verse 9-10 von Russ:
 9. “Wiltu mir hier entwichen auf diser heide breit? es stat dir lasterlichen wo man es von dir seit es stat dir übel an. du hast mir hie verlassen gar mengen stolzen man.”
 10. “Dinen harnesch guoten hastu mir hie verlan darzuo zechen houptpanner, sie steckent uf disem plan. es ist dir gar ein schant: ich han dirs angewunnen mit ritterlicher hant.”[/ref]
du hast mir hertt getröwet, und bin vor dir genesen,
he, iez züch recht wider heim,
zu dinen schönen frowen, din eer ist worden klein.”

35. “Es stat dir lasterlichen, wo mans nun von dir seit:
daß du mir bist entwichen uff dieser grünen heid.
he, es stat dir übel an.
du hast mir hie gelassen gar mengen stolzen man.”

36. “Darzu din harnist klare han ich dir gewunnen an,
ouch fünftzehen houptpanere, die hast du mir gelan,
he, das ist dirs iemer ein schand:
ich han dirs angewunnen mit ritterlicher hand.”

37. Die vesten von Lucernen hand da ir bests getan,
und han den frembden herren zur rechten adern glan,
he, sie hands ze todt geschlagen,
zu Küngsfeld im closter ligend ir vil begraben.

38. Desglich die vesten von Schwitze mit mengem klugen man,
mit mannheit und mit witze griffends den löwen an,
he, sie schlugend in uff den tod,
si huwend inn in grinde, daß er im blut lag rot.

39. Darzu die vesten von Uri, mit irem schwartzen stier,
viel vester dann ein mure bestrittends das grimme thier,
he, in irem grimmen zorn,
schlugend sie durch die helme die herren hochgeborn.

40. Und auch von Underwalden die vesten ußerkorn,[ref]40: “mit spiessen gotwüllkom sin” (Tschudi) : “mit halbarten wilckom sin” (Steiner)[/ref]
die helden wunderbalde in irem ruchen zorn,
he, sie schlugend tapffer drinn,
und hiessend die frömbden herren mit halbarten wilckom sin.

41. Also vertrieb der stier den löwen uß dem korn,[ref]41: Tschudi prangnieren : Steiner practiziren : Senckenberg praviren[/ref]
sin tröwen und prangnieren was gar und gantz verlorn;
he, es statt im übel an.
ja daß der löw dem stiere, sin weid mit gwalt mußt lan.

42. Herzog Lüpolt von Oesterrich was gar ein freudig man,
keins guten raths belud er sich, wolt mit den puren schlan,
he, gar fürstlich tat ers wagen,
do er an dpuren kame, hands in ze tod geschlagen.

43. Sin fürsten und ouch herren, die littend große not,[ref]43: Tschudi: “dann ob 600 helme”. waldstatt wohl für walstatt. Zwischen den Versionen von Tschudi und Steiner scheint Steiner im Zweifelsfall “historischer”, etwa mit seinen “450 bekrönten Helmen”, die gegenüber Tschudis “mehr als 600 Helmen” die (schwerer singbare) lectio difficilior darstellen. Steiner bezieht seinen Text “aus einem alten Buch”. Es ist Tschudi zuzutrauen, dass er denselben Text hatte, und ihn aber nach seinem Gutdünken “verbesserte”, während ihn Steiner abdruckte wie er war.
44: T. Gree : S. klee : Senckenberg ein herzog von Kleff[/ref]
si tatend sich mannlich weeren, dpuren hand si gschlagen ztodt,
he, das ist nun unverschwigen,
vierthalb hundert bekrönnter hellme, sind uff der waldstatt bliben.

*

44. Ein herre was entrunnen, der was ein herr von Gree
er kam zur selben stunden gen Sempach an den see,
he, er kam zu Hans von Rot,
“nun tus durch gott und gelte, für unß us aller not.”

45. “Vast gern”, sprach Hanß von Rote, des lons was er gar fro,
das er in verdienen sollte, fürts übern see also.
he, und do er gen Notwyl kam,
do winckt der herr dem knechte, er sollt den schiffmann erstochen han.

46. Das wollt der knecht volbringen am schiffmann an der statt,
Hanß Rot merckts an den dingen, das schiffli er bhänd umbtrat:
he, er warff sie beid in see,
“nun trinkend lieben herren, ir erstechend kein schiffmann mee.”

47. Hanß Rot thet sich balt kehren, seit wie es gangen was,
zu sinen liben herren: “nun merkents dester baß:
he, zwen fisch ich hüt gfangen han,
ich bitt üch umb die schuppen, die fisch will ich üch lan.”

48. Si schicktend mit im dare, man zog sie uß dem see,[ref]48: Bulge “Ledersack, Reisetasche”[/ref]
die bulgen namends ware, und anders noch viel me.
he, sie gabend im halben teil,
des lobt er gott von himel, und meint es wär wolfeil.

49. In wätschgern warend zwo schalen, die warend von silber gut,[ref]49: Wätschgern “Tasche, Ranzen”[/ref]
die wurdent Hansen Roten, des ward er wol ze mut,
he, er hat si nit verthon,
zLucern bi sinen herren, sind sie behalten schon.

*

50. Do kam ein bott gar ändlich gen Oesterrich ze hand,[ref]50: “ändlich” (Tschudi) : “heimlich” (Steiner).[/ref]
“ach edle frow von Oesterrich! üwer herr ligt uff dem land,
he, zu Sempach im blute rot
ist er mit fürsten und herren von puren gschlagen ztodt.

51. “Ach richer Christ von himel, was hör ich grosser not![ref]51-52: fehlen bei Steiner.[/ref]
ist nun min edler herre also geschlagen ztodt,
he, wo soll ich mich hin han?
het er mit edlen gstritten, man hett inn gfangen gnon.”

52. “Nun ylend wunderbalde, mit roß und ouch mit wagen,
gen Sempach für den walde, da sollt ir inn uffladen,
he, fürend in inns closter inn,
hinab gen Künigsvelden, da soll sin bgrebnus sin.”

53. In und umb und uff dem sin sig herzog Lüpold erschlagen:[ref]53: “das tund die herren ennert Rhin von den eidgnossen sagen.” (Tschudi) : “das tuond die, so nit hölder sind den Eidgnossen, von in sagen” (Steiner)[/ref]
das tund die herren ennert Rhin von den eidgnossen sagen.
he, ich setz ein anders dran:
wär er daheimen bliben, im hett niemand nütt gethan.

54. Mit im so tet er füren uff wägen etlich faß,
mit hälßling, strick und schnüren, dann er der meinig was,
he, möcht er gesiget han,
so wolt er die eidgnossen allsamen erhenken lan.

55. Hett er kein unfug triben und nit solch übermut,
so wärend die edlen bliben, jetlicher bi sinem gut:
he, sie tribends aber zvil,
des ist inen druss erwachsen ein solich handvest spil.

*

56. Die frow von Mümpelgarten, und die von Ochsenstein,[ref]56 (und 62): Vers 11 bei Russ:
 11. Die von Mümpelgarten, und die von Ochsenstein, man muoss irn lang erwarten, eb si komment heim: si sint ze tod erschlagen; ze Sempach vor dem walde ligent si vergraben.
57-58: fehlen bei Steiner
58: Vers 12 von Russ:
 12. Martin Malterer von Friburg mit sinem krusen bart, darzuo die von Hasenburg hieltent uf der fart, und vil der Oettinger und ander landesherren: den was die reis ze schwär. sie müstend lang zit warten, ob ir man kämind heim; he, si sind ze todt erschlagen, man hörtz in iren landen gar jämerlichen klagen.[/ref]

57. Die burger von Schafhusen, und die von Winterthur,
sie kund gar sere grusen, der schimpff der dunkt si sur.
he, Diessenhofen und Frowenveld,
die hand dahinden glassen, meng man uff witem veld.

58. Do rett sich ein burgermeister von Friburg us der statt,
“wir hand ein reiß geleistet, die uns geruwen hat.
he, wir müssend groß schmache tragen,
daß wir uff fryer heide von Schwitzern sind geschlagen.”

59. Die Herren ab dem Rhine, und ab dem Bodensee
hettinds zmeyen lan sine, so wär inn nit geschechen wee.
he, wemm wend si das nun klagen?
man sach die selben mäder gar wenig fuder laden.

60. Deßglichen die von Costentz, die warend hofflich dran,hand mit dem stier gefochten, die flucht hand sie genon;
He, ir paner dahinden glan,
Zu Schwitz hangts in der kilchen, da sichtz meng bidermann.

61. Von Lentzburg an dem tantze, da warend auch die von Baden,
ku Brüni mit irem schwantze hat si all erschlagen;
he, das tut den herren wee,
si glust keim sölchen pfaffen ze bychten niemerme.

62. Und ouch der lange Frießhard, mit sinem langen bart,[ref]62: vgl. auch Verse 11 und 12 von Russ (unter 56, 58). Vers 13 von Russ:
 13. Die von Bremgarten und die von Winterthur und ander landesherren, den wart der schimpf ze sur. von Brugg und ouch von Baden, ein kuo mit irem schwanze hat iren vil erschlagen.[/ref]
desglich der schenck von Bremgart, die blibend uff der fart;
he, sie sind ze tod erschlagen,
ze Sempach vor dem walde do ligend si begraben.

63. Und namlich die von Zofingen warend auch an der not,
si hand gar redlich gfochten, ir vendrich ward gschlagen ztod.
he, ir paner das was klein:
einer hats ins mul geschoben, so kam es wider heim.

64. Desgleichen die von Rinach, die hand ein mordt getriben,
wie sie das selbig hand vollbracht, das ist noch unverschwigen;
he, ouch warend si meineid,
und ee der schimpff ein ende nam, do hat mans inen gseit.

65. Ku Brüne sprach zum stiere: “ach sol ich dir nit klagen,[ref]65: Ku brüni: Russ hat Kue Bluemle: Vers 14 bei Russ:
 14. Kuo Bluemle sprach zuom stiere: ich muess dir iemer klagen mich wolt ein schwaebscher herre gemulken haben ich schluog in dass er lag: ich schluog in da noch mere, dass im der kopf derbrach.
65: bei Steiner:kuo brüni sprach zum buren: “und sol ich dir nit klagen, ein herr wolt mich han gemulchen, ich hab im den kübel umgeschlagen. ich gab im eins zum ore,
he, zuo sempach uff dem land, die vier ort hand es gwunnen mit ritterlicher hand.

66: “frölich man”, “gedichtet” (Tschudi) : “biderman”, “gemachet” (Steiner).[/ref]
mich wolt uff diser riviere ein herr gemulcken haben.
he, ich hab im den kübel umgschlagen.
ich gab im eins zum ore, das man in mußt vergraben.”

*

66. Halbsuter unvergessen, also ist er genant,
zLucern ist er gesessen und alda wol erkannt,
he, er was ein frölich man,
dis lied hat er gedichtet, als er ab der schlacht ist kan.

*

 


Quellen

Wurde dieses Lied seit 1870 irgendwann einmal gedruckt? Dank Google Books sind die alten Ausgaben nun wieder zugänglich:

  • Oskar Ludwig Bernhard Wolff, Sammlung historischer Volkslieder und Gedichte der Deutschen. Aus Chroniken, fliegenden Blättern und Handschriften zusammengetragen, 1830 [1]
  • Philipp Karl Eduard Wackernagel, Altdeutsches Lesebuch, 1835[2]
  • Wilhelm Wackernagel, Deutsches Lesebuch, 1839[3]
  • Ludwig Ettmüller Eidgenössische Schlachtlieder, mit Erläuterungen, 1844[4]
  • Jean Jacques Porchat, Winkelried: Drama in fünf Akten, metrisch in’s Deutsche übertragen von Friedrich Nessler, 1846 [5]
  • Heinrich Kurz, Aeltere Dichter, Schlacht- und Volkslieder der Schweizer 1860 [6]
  • Rudolf Rauchenstein, Winkelrieds That bei Sempach ist keine Fabel: Eine historisch-kritische Abhandlung, 1861 [7]

Zum Text: Gedruckt wurde das Halbsuterlied in verschiedenen Versionen 1532, 1545, 1598, 1618. Die ältesten Versionen sind die von Melchior Russ (1488), Aegidius Tschudi (1532?) und Wernher Steiner (1534?). Die Version von Russ hat nur 15 Strophen (vgl. Anmerkungen). Tschudis Version hat 66 Strophen, Steiner fehlen im Vergleich zu Tschudi vier Strophen, und dafür hat er eine extra, nebst zahlreichen kleinen Abweichungen im Text. Tschudis längste Fassung mit 66 Strophen ist das “grosse Halbsuterlied”.
Als älteste Erwähnung der Tat Winkelrieds wurde dieses Lied von den Historikern schon immer kritisch-allzu-kritisch beäugt. Es sei ein “Konglomerat”, eine “Kompilation”, dazu “nicht sehr geschickt”. Als mündliche Poesie ist es natürlich ein Konglomerat. Ob “geschickt” oder nicht sei dem Empfinden des Zuhörers (nicht: Lesers) überlassen.
Aber es ist doch letztlich Wurst ob Winkelried nun erstmals 100 oder 150 Jahre nach der Schlacht erwähnt wird, davon wird er weder historischer noch weniger historisch. Die Behauptung, das grosse Halbsuterlied sei eine Dichtung von Tschudi ist eine extreme Gegenposition zu der früher manchmal vertretenen Meinung, Halbsuter habe dieses Lied 1386, unmittelbar nach der Schlacht bei Sempach gedichtet. Beides stimmt ziemlich offensichtlich nicht.
Nach seinen eigenen Angaben bezog Wernher Steiner das Lied aus einem alten Buch voll Schweizerlieder, das er vom Zürcher Chorherrn Heinrich Uttinger geschenkt bekommen hatte. Wenn das grosse Halbsuterlied in den 1530ern in einem “alten Buch” auftaucht, darf man wohl annehmen, dass es auch schon zu Russ’ Zeiten existierte, und Russ einfach eine kurze Version davon zitiert hat.
Wenn Halbsuter im Kolophon sagt, er habe das Lied gedichtet, “als er ab der Schlacht ist kan”, dann gibt es keinen vernünftigen Grund, das als Lüge von der Hand zu weisen, solange damit die Schlacht bei Murten, oder eine andere der Burgunderschlachten gemeint ist. Diesen Kompromiss, also weder “eine Dichtung von 1386” noch “eine Dichtung von 1532”, sondern genau wie das Tellenlied und überhaupt das patriotische Interesse an der Gründungszeit der Eidgenossenschaft ein Lied aus der Zeit der Burgunderkriege, hat schon Jakob Bucher (1879) vorgeschlagen, der auch eine höhere Meinung von der dichterischen Qualität des Liedes hatte, als er meinte, daß Halbsuter uns ein Gedicht geschaffen hat, welches zu den interessantesten seiner Art zählt.