Tellenlied

tell
Ernst Ludwig Rochholz, Tell und Gessler in Sage und Geschichte. Nach urkundlichen Quellen (1877), “Drei Tellenlieder von 1477, 1672 und 1633.”, pp. 180-187.

Lied vom Vrsprung der Eydgnossenschafft (Tellenlied), ca. 1477.

Ein schön Lied vom Vrsprung der Eydgnossenschafft vnd dem ersten Eydgnossen, Wilhelm Thell genandt, auch von dem Bundt mit sampt einer lobl. Eydgnoschafft wider Hertzog Carle von Burgund vnd wie er ist erschlagen worden. Getruckt zu Basel bey Johann Schröter. 1623. Kl. 8°.

[Holzschnitt : Teil mit zweien seiner Kinder vor Gessler stehend, der unter einem Baume sitzt.] Aargau. Kantons-Biblioth., hier bezeichnet: Rariora I 8°, No. 2. — Haller, Biblioth. der Schweiz. Gesch., verzeichnet einen Druck vom Jahre 1674. Uns selbst liegt ein fernerer vor, der als zweites zu drei Tellenliedern erschien: Basel im Jahre Christi 1765.

 
1. Von der Eydgnoschafft will ich’s heben an, dessgleichen g’hört noch nie kein Mann, jhn’ ist gar wol gelungen ; sie hand ein’ wysen vesten bundt, ich will euch singen den rechten grund, wie ein Eydgnoschafft ist entsprungen.

2. Ein Edel Land, recht als der kern, das lyt verschlossen zwischen berg viel vester dann mit muren: da hub sich der Bundt am ersten an, sie hand der sachen wysslich g’than jn einem land, heisst Vry.

3. Nun merkend, lieben Eydgnossen gut, wie sich der Bundt am ersten erhub, daz lônd euch nit verdriessen: das einer seinem liebsten sohn ein’ öpffel von seiner scheytlen schon mit seinen henden musst schiessen.

4. Der Landvogt was ein zornig Mann, g’sach Wilhelm Thellen gantz vbel an: »komm har, ich muss dich fragen, welches ist dein liebstes Kind, das bring mir dar gar schnell und gschwind, von dem solt du mir sagen.«

5. Der Wilhelm Thell, der antwort schon, ich han so gar ein’ jungen sohn, der frewt mich auss der massen, darzuo sein Mutter, mein Ehlich Wib, wir wurden wagen voser beyder Lib, ehe wir jn wollen verlassen.

6. »Was lyt mir an deinem jungen Sohn, waz ich dir büt, must du thun, oder dich wird es nicht nutzen, du bist des schiessens also bericht, das man es von dir hört vnd sicht vnder allen Armbrust-Schützen.«

7. Wilhelm Thell herwider sprach: Herr, sind mir vor diesem Vngemach, solt’ ich zu mei’m Sohn schiessen! der Landvogt sprach: schweig, es moss sein, obschon dich staltest wie ein schwein! es that ihn sehr verdriessen.

8. Der Landvogt sprach zu Wilhelm Thell: »nun lug, das dir dein kunst nit fäl’ vnd merck mein red gar eben: triffstu jn nit mit dem ersten schutz, fürwar, es bringt dir keinen nutz vnd kostet dich dein leben.«*)

9. Zwentzig vnd hundert schritt, die must er stân, ein pfyl vff seinem Armbrust hân, da was gar wenig schertzen; er sprach zu seinem liebsten sohn: ich hoff, es soll vns wol ergohn, hab Gott in deinem hertzen!

10. Da baht er Gott tag vnd nacht, daz er den öpffel zun ersten traff, das that den Landvogt verdriessen; die gnad hat er von Gottes krafft, das er vss rechter Meisterschafft so höflich konnte schiessen.

11. Da er den ersten schutz hat thôn, ein pfyl hat er in seim göller stôn: hett’ ich mein’ Sohn erschossen, so sag ich euch, Herr Landvogt gut, so hat’ ich das in meinem muht, ich wölt’ euch auch hân troffen!*)

12. Damit macht’ sich ein grosser stoss, davon entsprang der erste Eydgnoss, Gott wolt die Landvögt’ straffen; sie schuhen weder Gott noch fründ’, so eim’ g’fiel Wyb oder Kind, wolten’s bey jhnen schlaffen.

13. Grossen vbermut triben sie im land, vil böser g’walt, der währt nit lang, also findt mans g’schriben. Es hând’s des Fürsten Landvögt’ thôn, drumb ist er vmb sin Herrschafft kôn vndt auss dem Landt vertrieben.

14. Ich will euch singen den rechten grund, sie schwuoren einen vesten Bundt, die jungen vnd die alten; Gott wöll’ sie lenger in Ehren hân, als er bisshar auch hat getthan, so wend wir’s Gott lân walten.

* * *

15. Die Eydgnoschafft ist aller Ehren voll, Zürich ich billich loben soll vor Fürsten vnd vor Heren; dessgleichen lob’ ich die Edlen von Bern vnd auch die Weysen von Lucern, sie leuchten all’ in Ehren.

16. Die Weysen von Vry sind vor genant, Schwytz, das ist mir wol bekandt, die Vesten von Vnderwalden, Zug vnd Glaris ich hiemit preiss, die Acht Ort sind vest vnd weiss, Gott wöll’ sie in Ehren halten!*)

17. Solothurn, du alter stamm; von Freyburg ich nie kein böss vernam, Biel lob’ ich mit schallen. Appenzell stât auff vestem grund, Schaffhausen hört auch in Bundt, mit einem Apt von Sant Gallen.*)

18. Das ist die rechte Eydgnoschafft, darvon der Bundt soll haben krafft, Gott wöll sie hân in Ehren, dz wünsch’ ich jhnen auss trewen mut, nun frewend euch, lieben Herren gut, der Bund, der will sich mehren.

19. Sît ich die warheit reden soll, der Bundt, der g’falt den Leuten wol, das mögend jr wol erkennen, die edlen Herren sind ausserwölt, sie hând sich selber in Bundt gestelt, drî Hertzog will ich nennen:

20. Hertzog Sigmund von Oesterreich thet eim’ frommen Fürsten gleich, hat sich wol dar gelassen, Leib vnd Guot vnd was er hat, fürsach er das mit seinem Raht, hat er in Bundt verschlossen.*)

21. Der Edle Hertzog von Meyland, der hat gelobt mit seiner hand, that sich inn Bundt verschreiben, als seine vordem hâng gethan, damit wolt’ er sein herschafft b’han, darbey lân ich’s bleiben.*)

22. Hertzog Reinhart von Lottringen, derselb thut auch nach Ehren tringen, dem ist gross G’walt geschehen, Burg vnd Stett wurdend jm gnôn, das wolt er nit vngerochen lôhn, das hat man wol gesehen.*)

23. Ich hoff, er hab’ ein’ guten grund. Strassburg, das hört auch in Bundt, sie teten als die weissen; Colmar, Schlettstat desselben gleich, Basel, Mülhausen im Römischen Reich, die fünff Stett wil ich preisen,*)

24. Hiemit macht’ sich ein grosser Bundt, straft Hertzog Carle von Burgund, sein Vnglück will sich machen; der anfang, der ist gut gesin vor Ellengurt vnd Pünterling, das sönd wir wol betrachten.*)

25. Zu Orben geschach ein raucher sturm, sie wurffend die Fygend auss dem Thun, Plomund ward gar zerbrochen, Saffoyerland ward gar zerstört, dessgleichen hat kein Mann erhört, der schad stuond vngerochen.

26. Das vernam der Hertzog von Burgund, er sprach zum Graffen von Reymund: den schaden will ich rechen, sobald ich das nun fügen kan, solt’ ich verlieren, was ich hân. die wort hört’ man jn sprechen.

27. Zu Gransee hat er ein Mordt gethan, Gott wolt’s nit vngerochen lân, da ist ein streit beschehen, er verlohr ein Herrn von Tschetigung, sein’ liebsten Fründ, daz sag ich nun, das hat man wol gesehen.*)

28. Das Sacrament vnd Heilthumb rein, Silber, Gold vnd Edelgstein must er alls hinder jhm lassen; Büchsen vnd Zelten theten jhm zoren, Sieg vnd Paner hat er verloren, das klagt er auss der massen.

29. Der Spott thet jhm billich wee, vor Murten wölt er’s versuchen mee darnach jm wärnden summer; die Eydgnossen hand’s bald venôn, sind gar tröstlich zsamen kôn, dess kam er in schweren kummer.

30. Sie zugend durch ein’ grünen Wald, sie waren frölich jung vnd alt, jhre Paner theten’s auffschwingen; auf einer Heyden, die was wyt, zugend’s frölich an den Strît, als woltens an Dantz gân springen.

31. Die Bundtsgnossen griffend frölich an mit mengem vnverzagten Mann, nach ehren wolt man fächten, zu Ross vnd Fuess, das staht jhnen wol, wo man das von jhnen sagen sol vor Ritter vnd auch Knächten.

32. Der Bischoff von Sitten ist ein fürstlich Mann, hat sein allerbestes gethan zu denselben Zeiten; Vnd auch die Walliser wolgemut hand gewunnen Ehr vnd Gut mit stürmen vnd mit streiten.

33. O Hertzog Carle von Burgund, du hast verachtt den grossen Bundt, das hört man von dir sagen; so hat man dir gezelter Mann viervndzwentzig tusend auff einem plan ertrenckt vnd auch erschlagen.

34. Dannoch wolt er nit haben ruh, Er meint, es wär’ noch nienen gnue, Er wolt’ es wieder bringen; so mag ich mit der warheit sag’n, er ist im veldt zu todt erschlag’n vor Nanse in Lottringen.

35. Gott, Himmels schöpffer vnd Erdrîch, behüet vns jemer vnd ewiglich vor solchem grimmen Fürsten; dann dein ist das Reich vnd die Krafft, o Herr, mach mich deins Tods theilhafft, so wird mich nimmer dürsten.

ENDE.

Vorstehendes Lied trägt in Ludw. Sterners Handschrift, geschrieben 1501, nun im Besitze der Familie Diesbach zu Freiburg in Uechtland, nur die Ueberschrift »von der eidgenossen pundt«, und nach jenem Texte steht dasselbe abgedruckt in den Histor. Volksliedern der Deutschen, von Lilieocron, Bd. 2, No. 147. Letzterer schickt über das Alter und das allmählige, stückweise Zustandekommen des Liedes etliche Bemerkungen voraus, die auch an dieser Stelle ihren Zweck haben. »In seiner vorliegenden Gestalt ist das Lied nicht vor dem Jahre 1477 gesungen, weil es mit dem Tode Karls von Burgund schliesst. Auch ist es nicht später gesungen, denn der Bund mit Oesterreich und die Burgunderkriege bilden den Inhalt seiner zweiten Hälfte. Es könnte aber allmählig entstanden sein. Vielleicht enthielt es anfänglich nur Strophe 1 bis 13, denn diese letztere Strophe klingt nach einem Liedschluss. Dazu kam wohl zunächst die Aufzählung der Orte, Strophe 15 bis 18. Daran wurden weiter etwa die Strophen 19 bis 24 von der Vemehrung des Bundes durch die drei Herzoge von Oesterreich, Lothringen und Mailand und durch die Niedere Vereinigung, Strophe 23, gehängt, was 1474 geschehen sein müsste; und nach dem Schlusse des grossen Krieges 1477 kamen dann noch die übrigen Strophen dazu. Das Lied selbst erregt einigermassen den Verdacht dieses Herganges, vergl. die Anmerkung zu Strophe 21.«

Anmerkungen:

  • ) Strophe 8 wird wörtlich wiederholt in Strophe 4 des Telienliedes das in der 1501 von Ludw. Sterner verfassten Chronik der Burgunderkriege steht und mit neuen Zusätzen um das Jahr 1540 zu Zürich bei Augnstin Fries gedruckt worden ist. Siehe Liliencron, Die histor. Volksll. II, 109 — 115.
  • ) Strophe 11. Hier gilt eben das, was schon über Str. 8 bemerkt worden.
  • ) In Strophe 15 und 16 sind die Acht alten Orte aufgezählt, deren Zahl im Jahre 1481 auf zehen stieg.
  • ) Strophe 17. Die genannten Orte sind in den Bund eingetreten und zwar Solothurn nnd Freiburg anno 1481: Biel 1496; Appenzell 1513; Schaffhausen 1501; St. Gallen 1454.
  • ) Strophe 20. Oesterreichische Erbeinigung mit den fünf Orten 1477; mit den zwlölf Orten 1511.
  • ) Strophe 21. Zwischen Galeazzo Maria Sforza und der Eidgenossenschaft kam 1474 ein Bündniss zu Stande. Allein im Verlauf des Burgnder Krieges hatte man in der Schweiz Anlass, mit Galeazzo’s Haltung sehr unzufrieden zu sein. Am 30. Januar 1475 schloss er ein Bündniss mit Burgund und während des ganzen Krieges flossen mailändische Söldner dem burgundischen Heere reichlich zu. Obige Strophe kann also wohl 1474, nicht aber erst 1477 gedichtet sein; denn ein Schweizer, der 1477 dichtete, hätte jene Thatsachen schwerlich unberücksichtigt gelassen, so wenig als den Umstand, dass Galeazzo mittlerweile am 26. December 1476 ermordet worden war, Liliencron, Die histor, Volksll., Bd. 2, S. 112, Note.
  • ) Strophe 22. Vertrag mit Lothringen 1476.
  • ) Strophe 23, Evangelisches Burgrecht mit den genannten fünf Städten im Jahre 1529.
  • ) Strophe 24. Die hochburgundischen Orte Ericourt (Sclacht daselbst 13. Nov. 1474) und Pontarlier. — Die in der folgenden Strophe genannten Orte Blamont, Orbe etc. sind aus dem burgundischen Kriege genugsam bekannt.
  • ) Strophe 27. Tschetigung: Chateau-Guyon.